Die Digitalisierung mit Gefahren und Vorteilen geht rasend schnell vorwärts

14. Dezember 2018

Bei einer sehr gut besuchten Veranstaltung im Festsaal des Staatlichen Landschulheims ging es um das hoch aktuelle Thema „Ist die Digitalisierung eine Gefahr für unsere Demokratie?“. Organisiert vom Elternbeirat der Schule führte Professor Dr. Stephan Russ-Mohl von der italienischen Universität in Lugano in das Thema ein, das durch den derzeit anstehenden Ausbau der Digitalisierung an Schulen umso heißer diskutiert wurde.

Russ-Mohl, der 1969 sein Abitur am lsh Marquartstein ablegte, studierte Sozial- und Verwaltungswissenschaften, war später Journalistikprofessor an der Freien Universität Berlin und hatte seit 2001 den Lehrstuhl für Journalisitik an der Universita della Svizzera Italiana in Lugano inne. Er ist Gründer des „German Journalism Observatory“ (einer Forscherplattform, die den Stand des Journalismus in einem Land beobachten und bewerten).

Als emeritierter Professor lebt Russ-Mohl heute wieder in Berlin, forscht und setzt sich nach wie vor mit den gesellschaftlichen Problemen der Digitalisierung auseinander.

Organisiert hatte die Veranstaltungen - morgens mit den Schülern der 11. Klassen, abends mit den Eltern - der ehemalige Lehrer der Schule, Hermann Eschenbeck. Er war von 1960 bis 1996 Lehrer am Landschulheim für Deutsch, Geschichte, Sozialkunde und Englisch. Dazu war er lange Heimerzieher, wo er sieben Jahre lang Russ-Mohl bis zum Abitur in seiner „Kameradschaft“, wie die Internatsgruppen damals genannt wurden, hatte.

Fake-News, Halbwahrheiten und Lügen

Einführend berichtete Russ-Mohl anhand von konkreten Beispielen, wie die durch die Medien seit den 1950er Jahren stetig zunehmenden Informationen über viele Ereignisse in der ganzen Welt zunehmend zur Desinformation der Menschen wird. Er zeigte, wie sich in der digitalisierten Welt Fake-News, Halbwahrheiten und Konspirationstheorien zunehmend ausbreiten.

Als Beispiel brachte er unter anderem die kürzlich durchs Internet geisternde Nachricht „Die Grünen wollen Kerzen verbieten“ – was nachweislich frei erfunden war. Der Referent zeigte auf, wie durch die Suchmaschinen jeder Internetnutzer mit den Nachrichten überschwemmt wird, die er selbst gerne bekomnmt – oft weit ab von der tatsächlichen, objektiven Realität.

„Der Bund gibt Milliarden für Laptops an Schulen aus, aber haben die Schüler eigentlich Lust, ihren Lehrern zu erklären, wie sie funktionieren?“, fragte der Professor provokant und spielte damit auf die Tatsache an, dass die meisten Jugendlichen heutzutage schon allein durch den Umgang mit ihren Smartphones sehr viel besser von der neuen Technik verstehen als die Lehrer.

Überwachungsstaat kontra freies Internet

Bei der angeregten Diskussion sagte ein Zuhörer, er selbst sei einfach nicht bei Facebook oder Twitter, denn so könne man auch gut leben. Russ-Mohl meinte, das sei zwar „sehr honorig“, er selber aber wolle und könne zum Beispiel gar nicht auf Facebook verzichten, um mit anderen Forschern kommunizieren zu können.

Eine Zuhörerin war entsetzt über die kriminellen Machenschaften im Internet und fragte, ob man das nicht ahnden könne. „Leider nein“, antwortete der Referent. Es gebe zwar Gesetze, aber man kriege die Leute nicht, die zum Beispiel Hassmails oder FakeNews ins Internet stellen. Es sei sehr schwer, die Anonymität im Internet aufzuheben. Noch vor fünf bis zehn Jahren habe sich keiner getraut, so offen wie heute Hassmails zu schreiben.

„Wie machen es dann die Chinesen?“, wollte einer wissen.

Um den Preis der Presse- und Meinungsfreiheit sei das Netz natürlich schon zu kontrollieren, stellte Russ-Mohl fest. Es sei allerdings „ein verdammt hoher Preis“, wenn ein Land dadurch zum „totalen Überwachungsstaat“ wie China oder Russland werde. Er fand es jedoch auch „unheimlich, was Google und Facebook mit uns machen, auf jeden Fall anstrengend“.

Ein Zuhörer schlug vor, einfach bei der „guten, alten Tageszeitung“ zu bleiben, dann wüssten die anderen wenigstens nicht, welche Artikel wir genau lesen und könnten uns daraufhin auch nicht mit der passenden Werbung zu müllen, wie es im Internet geschieht.

Auf den Vorschlag eines Besuchers, man müsse den Leuten einen „Werkzeugkasten“ mitgeben, wie sie mit dem Netz umgehen sollten, sagte Russ-Mohl es gebe viele Initiativen zur Medienerziehung und wie man Fake News einfangen könne. Einer schlug vor, Cookies auszuschalten, so dass Google keine Informationen über einen sammeln könne. Diskutiert wurde auch, ob ein Fach „Medienkunde“ an der Schule eingeführt werden sollte, wobei klar wurde, dass die Entwicklung im Netz rasend schnell vorangeht und erst noch „wirksame Impfstoffe“ gegen die „toxische Kommunikation“, wie sie der Professor nannte, gefunden werden müssten. Neueste Entwicklung sind „Deep Fakes“, das sind gefälschte Videos, die mit Manipulation von Gestik und Mimik Prominente wie Politiker in ein komplett erfundenes Licht rücken können. Russ-Mohl sagte, er habe auch kein Patentrezept, jeder aber solle bei sich selbst anfangen und nicht nachlassen, gegen diese negativen Entwicklungen des Internets zu kämpfen, indem zum Beispiel Quellen geprüft würden. Insgesamt hielt der Journalistik-Professor das Ganze für eine Frage der Bildung. Ihm schwebe eine „Allianz von Journalisten und Wissenschaftlern“ vor, die zum Beispiel auf einem Blog die News, wie auch Fake-News kritisch begleiten.nach Ende der offiziellen Veranstaltung wurde im kleinen Kreis noch lange weiter diskutiert. Die Bücher auf dem Tisch der Buchhandlung Mengedoht mit Russ-Mohls neuestem, 2017 erschienenen Buch „Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde“ fand reißenden Absatz.

 

Bericht und Foto: Christiane Giesen
Foto: Dr. Stephan Russ-Mohl (Mitte), die Vorsitzende des Elternbeirats am Staatlichen Landschulheim Marquartstein, Eva Mühlbacher, und Hermann Eschenbeck, Initiator der Veranstaltung und ehemaliger Lehrer des Referenten.